МОСКВА, ЕВАНГЕЛИЧЕСКО-ЛЮТЕРАНСКАЯ ОБЩИНА СВВ. ПЕТРА И ПАВЛА
28 Августа 2010 года
PREDIGT AM VOLKSTRAUERTAG DER RUSSLANDDEUTSCHEN
Lesung aus dem Brief des heiligen Apostels Paulus an die Hebräer (13,12-15):
Brüder, auch Jesus hat, um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten. Lasst uns also zu ihm vor das Lager hinausziehen und seine Schmach auf uns nehmen. Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige. Durch ihn also lasst uns Gott allezeit das Opfer des Lobes darbringen, nämlich die Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen. Aus dem hl. Evangeliumnach Matthäus (11,28):
Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.
Liebe Schwestern und Brüder, wir sind zusammengekommen, um der Leiden zu gedenken, die die Russlanddeutschen durch Deportation, Verbannung, Arbeitsarmee, Unterdrückung und Diskriminierung erleiden mussten. Gewiss dauerte die Tragödie der Russlanddeutschen viel länger als dieser eine Tag. Aber es ist nun einmal so, dass Tragödien und Katastrophen in der Geschichte der Völker ihre Gedenksteine im Kalender haben. Die Armenier gedenken regelmäßig am 24. April des Völkermords an ihren Landsleuten im Osmanischen Reich, weil am 24. April 1915 die Pogrome und Verfolgungen in Istanbul begangen wurden, in deren Ergebnis über eine Million Menschen hingeschlachtet wurden.
Für die Russlanddeutschen ist dieser Leidens- und Trauertag der 28. August, weil am 28. August 1941 der sog. „Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Übersendung der Deutschen, die im Wolgarepublik wohnen, verfügt wurde. Der 28. August ist der Tag der Tragödie der Russlanddeutschen, auch wenn ihre Leidensgeschichte genau genommen schon früher begann und auch wenn sie Jahrzehnte später noch nicht zu Ende war, sondern bis in unsere Tage in ihren Auswirkungen reicht.
Schon im Ersten Weltkrieg war der erwachende russische Nationalismus, der aus den einst willkommenen deutschen Mitbürgern zum ersten Mal allein wegen ihrer Abstammung und Sprache Feinde machte. Bereits damals waren viele unserer Gemeindeglieder zwischen zwei Nationen geraten, die sich kriegerisch gegenüber standen. Doch was damals geschah, ist kein Vergleich mit dem Ausmaß ihrer Tragödie, als sie Opfer der brutalen Machtpolitik Hitlers und Stalins waren.
Hitler überfiel die Sowjetunion, und Stalin nahm Rache an den Staatsbürgern seines Landes, die deutscher Nationalität waren, an den Russlanddeutschen - nicht weil sie schuldig waren, sondern nur weil sie „nemka" oder „nemez" in ihren sowjetischen Pässen trugen. Keiner von ihnen hatte Hitler gewählt, aber alle sollten sie für Hitlers Untaten büßen.
Freilich war Hitlers Überfall auf die Sowjetunion Verbrechen, eines der vielen Verbrechen, die auf das Konto der deutschen Nationalsozialisten gehen. Aber das, was Stalin den Russlanddeutschen angetan hat, war ebenfalls ein Verbrechen, und auch dies sollte deutlich genannt werden: Enteignung, Deportation, Arbeitslager und Diskriminierungen.
Wenn man sich auf Angaben von Arkadi Hermann von der Universität Saratow berufen darf, so lebten 1.435.000 Russlanddeutsche im europäischen Teil der Sowjetunion. Bereits während der Säuberung Stalins 1937/38, also noch vor dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion, wurden 73.000 von ihnen verurteilt, 40.000 von ihnen erschossen; Wir wissen, dass Stalin, der Völkermord befohlen hatte, kein Volk verschonte, auch das russische nicht. Aber für deutsche Sowjetbürger war die Wahrscheinlichkeit, in dieser Zeit verurteilt zu werden, sechs Mal höher als in der allgemeinen Sowjetunion, und erschossen zu werden sogar zehn Mal höher. Es war die Zeit, in der fast alle Pastoren russlanddeutscher Gemeinden und Kirchen liquidiert wurden. Es war de Zeit, in der bereits heimlich und verborgen vor dem sog. Sowjetvolk Listen über die Russland-deutschen angelegt wurden, die Stalin erst befähigten, dann, als der Deportationserlass kam, in relativ kurzer Zeit eine so große Zahl, wie sie genannt wurde, zu deportieren, in die Arbeitsarmee zu schaffen und mit entsprechenden Zwangsmaßnahmen zu belegen. Mehr als 310.000 Russlanddeutsche fielen der blutigen Stalin-Diktatur zum Opfer. Zur Gesamtbilanz des Leidens gehören auch Demütigungen und Unterdrückungen, die nach Kriegsende begannen. Während Europa allmählich aus den Trümmern des Kriegs den Weg suchte, wurden die Russlanddeutschen weiter wie Verbrecher behandelt. Verbannung am Deportationsort „für ewig", wie die Anweisung des Obersten Sowjet 1948 lautete, bis 1956 in Kommandantur-Aufsicht.
Diskriminierung bei der Ausbildung, Unterdrückung eigenständiger kultureller Entfaltung und Unterdrückung der deutschen Muttersprache – es war sicher die Absicht Stalins, die Existenz der deutschen Volksgruppe in der Sowjetunion und ihre Selbstbewusstsein auszulöschen. Deshalb die in der BRD verbreitete Meinung, dass gute Sprachkenntnisse als Kriterium der Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe gelten und mangelnde Sprachkenntnisse von „nationaler Gleichgültigkeit“ zeugen, ruft in Herzen unserer Landsleute tiefen Schmerz hervor.
Unsere Volks- und Glaubensgenossen haben durch Ihren festen Glauben, den man auch nicht durch das Verbot des Kirchenbesuchs lösen konnte, die Kraft bewiesen, diese stalinistische Unterdrückung zu überstehen.
Diese Deportation des Jahres 1941 hat Petersburger Deutsche, Wolga-Deutsche, Kaukasus-Deutsche und Sibirien-Deutsche gemischt und ein neues Volk geschmiedet wurde, die Russlanddeutschen. Die neue Heimat – „Mütterchen-Russland“ hat sie stiefmütterlich behandelt. Sie haben sich dann an die alte Heimat gewandt.
Aber gerade in der Bundesrepublik Deutschland haben unsere Landsleute die Erfahrung gemacht, dass ihnen die deutsche Volkszugehörigkeit abgesprochen wird, sie werden als „Russen" eingestuft. Und in Russland hat man sie genauso kollektiv, genauso falsch und genauso demütigend „Faschisten" genannt.
Können diese Schmerzen eine Grundlage für die positive Selbstidentifizierung der Jugendlichen dienen? Sie können und sie müssen es. Aber es ist sicher zu wenig, diesen 28. August zum Gedenktag zu machen und aus der Leidensgeschichte die eigene Identität abzuleiten. Die erste und vielleicht zugleich wichtigste Frage, die auf dabei entsteht - Gibt es dann eine Heimat für uns? Ja! Und das ist unsere Kirche. Nicht als Institution, nicht als Instanz, sondern als lebendige Gemeinde. Als mystischer Leib Christi. Hier wird niemand deine Sprachkenntnisse prüfen. Hier wird dich niemand nach deiner Nationalität fragen. Hier bist du zu Hause. Das ist deine Kirche. Hier ist meine Kirche. Unsere Kirche – die Kirche Jesu Christi. Erб der für dich am Kreuz gelitten hat, streckt seine durchbohrte Hände zu dir aus und sagt: Komm zu mir, der du traurig und müde bist, ich will dich stärken.